Zentrale Gedenkstätte am Bahnhofsvorplatz nach dem Entwurf des Künstlers Clas Steinmann, 2014 

Schloßstraße 21

Dezentrale Gedenkorte

Schloßstraße 21: Arisierung in Pirmasens (Sachtafel)

Bitte beachten Sie: Die Sachtafel wurde aufgrund des Rückbaus der Kaufhalle vorübergehend entfernt.

Sachtafel an der Schloßstraße 21

Am Platz der ehemaligen Kaufhalle, Schloßstraße 21, befand sich die Eisenwarenhandlung Kahn. Die Tafelanbringung fand am 9. November 2016 statt im Rahmen weiterer Tafelanbringungen. Insgesamt wurden sechs Stationen aufgenommen, von der ehemalige Teichstraße 10 bis zur Alleestraße 37.

Arisierung in Pirmasens am Beispiel der Eisenwarenhandlung Moritz Kahn von Frank Eschrich,
unter Verwendung der Recherchen und Ausarbeitungen der Berufsbildenden Schule BBS, Klasse GT 13/6 

Eisenwarenhandlung Moritz Kahn, um 1904, mit Geschätsanzeige, Bildsammlung, Sammlung Einwohnerbücher © StArchiv PS

Eisenwarenhandlung Moritz Kahn

Besitzer des Grundstücks an der Pirmasenser Schloßstraße und der gleichnamigen Eisenwarenhandlung war Moritz Kahn. Im Bild eine Geschäftsanzeige aus dem Einwohnerbuch der Stadt Pirmasens 1925/26. Seit 1928 hatte die „Ehape-Warenhaus AG“, die spätere „Rheinische Kaufhalle AG“, das Anwesen an der Schloßstraße gemietet und erweitert. Das Pirmasenser Ehape-Warenhaus befand sich Ecke Schloßstraße/Höfelsgasse in einem Anbau.

EHAPE wird zur Kaufhalle, Leonard Tietz AG wird zu Kaufhof

Am 19. Oktober 1925 gründete der jüdische Kaufmann Franz Levy die „Einheitspreishandels GmbH“ (EHP bzw. EHAPE). Das erste Geschäft wurde im Januar 1926 unter Leitung der Leonard Tietz AG in Köln eröffnet. Hauptgesellschafter war Leonard Tietz, Cousin des „Hertie“-Gründers Hermann Tietz. Er firmierte die Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft (AG) um. 1937 wurden die EHAPE-Kaufhäuser arisiert und in „Rheinische Kaufhalle AG“ umbenannt. Bereits 1933 musste Firmenerbe Alfred Leonard Tietz seine Warenhäuser zu einem Bruchteil des Aktienwerts an die Dresdner Bank verkaufen. Um die jüdischen Firmengründer zu verbergen wurden sie im Anschluss in „Westdeutsche Kaufhof AG“ umbenannt. Sowohl die „Kaufhalle AG“ als auch die „Kaufhof AG“ gehörten ursprünglich der jüdischen Kaufmannsfamilie Tietz. Zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Warenhauskonzerns wurde der Wuppertaler Industrielle Abraham Frowein bestellt, dem die Nationalsozialisten auferlegten, bis Ende 1934 alle Juden und Mitglieder der Familie Tietz aus der Firmenleitung zu entfernen (vgl. Die Geschichte der jüdischen Warenhäuser, Seite 14 ff, Andre Krajewski, Wuppertal).

Ehape-Kaufhaus, 1930er Jahre © StArchiv PS

Arisierung des Erbes von Moritz Kahn

Seit 1928 hatte die „Ehape-Kaufhaus AG“ das Geschäftshaus von Moritz Kahn an der Schloßstraße gemietet, hatte ein eingetragenes Nutzungsrecht und betrieb dort ein Warenhaus. Am 1. April 1933 wurde reichsweit zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgerufen. In Pirmasens wurden bereits im März 1933 zahlreiche jüdische Geschäfte demoliert, u.a. auch das Ehape-Kaufhaus. Am 28. Juli 1933 nahm sich Moritz Kahn das Leben, wohl als direkte Folge dieser Gewalttaten und der erlittenen antisemitischen Hetze in seiner Heimatstadt.

Am 20. März 1933 schreibt die Pirmasenser Zeitung unter der Überschrift „Schaufenstersturm in Pirmasens“:

„In der vergangenen Nacht gegen 2 Uhr wurden in dem Kaufhaus Katz in der Landauer Straße und im Kaufhaus Baer in der Hauptstraße die Schaufensterscheiben eingeschlagen. Kurze Zeit danach wurde die Polizei verständigt, daß auch im 'Ehape' sämtliche Schaufensterscheiben eingeschlagen worden sind und daß die Warenvorräte in Brand gesteckt worden seien. Im Teppichhaus Allspach in der Schloßstraße (übrigens wie uns Allspach mitzuteilen bittet, kein jüdisches Unternehmen), außerdem im Konsumgeschäft im Hause Görlich und im Schuhhaus Dreyfus in der Ringstraße, wurden ebenfalls Scheiben zertrümmert (…) Wie die hiesige Parteileitung der NSDAP uns mitteilt, sollen die Täter der NSDAP nahestehen. Die Partei erklärt, daß sie von solchen Terrorakten weit abrückt und daß sie dieselben auf das schärftste mißbilligt“ (vgl. Juden in Pirmasens, Seite 363 ff, Kukatzki Bernhard, 2004. Quelle: „Schaufenstersturm in Pirmasens“, Pirmasenser Zeitung vom 20.3.1933 )

Im Adressbuch der Stadt Pirmasens von 1936 ist als Besitzer des Grundstücks an der Schloßstraße 23 nunmehr „Moritz Kahn Witwe, Mannheim“ und als Mieter weiterhin die „Ehape-Kaufhaus AG“ eingetragen (vgl. Adressbuch 1936, Seite 104)

Am 12. Dezember 1938 wird der notarielle Kaufvertrag zwischen der „Rheinische Kaufhalle AG“ bzw. deren Bevollmächtigten und Paul Mones, Köln, handelnd für Susanne Kahn ohne Vertretungsvollmacht, bei Notar Riffarth in Köln abgeschlossen. Der vereinbarte Kaufpreis ist der Einheitswert des Grundstücks von 1935 in Höhe von 120.500 Reichsmark (RM). Der Vertrag enthält zahlreiche Nebenbestimmungen, u.a. dass alle Zahlungen an die Verkäuferin Kahn auf ein Sperrkonto unter ihrem Namen zu leisten sind und das Benutzungsrecht der „Ehape Aktiengesellschaft für Einheitspreise in Köln“ auf deren „Rechtsnachfolger Rheinische Kaufhalle“ übergeht (vgl. U.R. Nummer 992/1938, Abschrift für die Regierung der Pfalz, Stadtarchiv Pirmasens)

Susanne Kahn ist zu diesem Zeitpunkt 73 Jahre alt und in einem Altenheim in Mannheim in der Collinisstraße 47/53 untergebracht. Ihre Unterschrift unter den Kaufvertrag wird als echt beglaubigt. Allerdings ist diese Unterschrift auf der vorliegenden Quelle nicht erkennbar. Ob es sich bei Paul Mones, der als Verkäufer des Kahn'schen Grundstückes in Pirmasens auftritt, um einen Vormund von Susanne Kahn handelt, ist nicht bekannt und bietet Anlass zu weiterer Recherche.

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    Bereits im Sommer 1938 nimmt die „Rechtsnachfolgerin“ Rheinische Kaufhalle AG umfangreiche Um- und Ausbaumaßnahmen an dem Gebäude in der Pirmasenser Schloßstraße bzw. Höfelsgasse vor, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt Gebäude und Grundstück noch nicht in ihrem Besitz befinden. Die Bausumme wird auf rund 195.000 Reichsmark (RM) beziffert. Dies geht aus einem Brief von Rechtsanwalt Klonz, Köln, hervor, der die Kaufhalle AG vertritt. Das Schreiben vom 3. Februar 1939 ist an den Gauwirtschaftberater der NSDAP Saar-Pfalz in Neustadt gerichtet und bezieht sich auf eine Unterredung mit Gauhauptstellenleiter Uhl. Mit dem Schreiben bittet der Rechtsanwalt um Genehmigung des Kaufvertrages für das Grundstück in der Pirmasenser Schloßstraße 23. Das betreffende Grundstück sei mit Mietvertrag vom 18. September 1927 gemietet. Die vereinbarte Mietzeit laufe vom 1. Oktober 1928 bis zum 30. September 1948. Ein Nutzungsrecht sei im Grundbuch zu Gunsten der Ehape AG für Einheitspreise eingetragen.

    Im weiteren Verlauf weist der Anwalt die Behauptung des NSDAP-Gauhauptstellenleiter Uhl zurück, die Rheinische Kaufhalle AG sei darüber unterrichtet, ein „Strohmann“ der „Westdeutschen Kaufhof AG“ habe in Kaiserslautern Grundstücke von jüdischen Besitzern erworben. Der Käufer habe als „Privatmann“ gehandelt, der Kauf habe mit der Kaufhof AG (Anm.d.Verf. : Der namentlich bekannte Käufer war Mitglied im Aufsichtsrat der Kaufhof AG) nicht das „Geringste zu tun“ und im Übrigen sei der Kaufvertrag vom Oberbürgermeister der Stadt Kaiserslautern nicht genehmigt worden. Eine „Verkoppelung der Genehmigung der beiden Kaufverträge“ (Anm.d.Verf. : Gemeint sind die Grundstückskäufe in Pirmasens und Kaiserslautern) sei daher „nicht angebracht“. Das Interesse der Kaufhalle AG an dem Grundstück der Witwe Kahn in Pirmasens ergebe sich aus dem Umstand, dass dort aus „eigenen Mitteln“ insgesamt 194.077,57 Reichsmark (RM) an Umbaukosten investiert worden seien.

    Die Herbeiführung der Genehmigung sei zu beschleunigen, zumal sich die Kaufhalle AG gezwungen sähe, „noch an mehreren anderen Plätzen (…) die im jüdischen Eigentum befindlichen, vor ihr zu Betriebszwecken gemieteten Grundstücke zu erwerben und hierzu erhebliche Kosten aufbringen muss“ (vgl. Brief von Rechtsanwalt Otto Klonz an Gauwirtschaftsberater Uhl vom 3. Februar 1939, Stadtarchiv Pirmasens)

    Nicht nur die Warenhausgesellschaften, sondern auch die Standorte der Warenhäuser vor Ort sollten in „arischen“ Besitz übergehen. Offensichtlich waren die Kaufhof AG und die Kaufhalle AG im Jahr 1938 bestrebt, die noch bestehenden Mietverträge mit jüdischen Grundstücksbesitzern schnellstmöglich in eigenen Besitz umzuwandeln. Die vorliegenden Schilderungen legen nahe, dass es sich dabei um eine gemeinsam geplante Vorgehensweise der beiden Kölner Warenhausgesellschaften handelte.

    Der Kaufvertrag vom 12. Dezember 1938 scheint schon Ende des Jahres auf die Ablehnung des Kreiswirtschaftsberaters der NSDAP, Willy Stuhlfauth, sowie der NSDAP-Gauleitung Saar-Pfalz getroffen zu sein. In einem Brief an die Regierung der Pfalz in Speyer vom 17. Februar 1939 schreibt Gauhauptstellenleiter Uhl, Kaufhalle AG und Kaufhof AG seien Schwesterunternehmen und seien einer der größten Warenhauskonzerne. Uhl bezieht sich dabei auf ihm zur Verfügung gestellte Unterlagen und Bewertungen vom 31. Dezember 1938. In der „Verordnung über die Entjudung“ sei ausdrücklich festgelegt, dass „Konzerne, Warenhäuser und dergleichen nicht durch Ankauf jüdischer Geschäfte vergrössern dürfen und sich in der Deutschen Wirtschaft weiter verankern“ (vgl. Brief der NSDAP-Gauleitung an die Regierung der Pfalz vom 17.Februar 1939, Stadtarchiv Pirmasens).

    Die von Gauhauptstellenleiter Uhl vorgetragene Begründung für die angestrebte Zurückweisung des Kaufvertrages durch die Regierung der Pfalz ist rätselhaft. Am ehesten könnte sich Uhl darauf beziehen, dass es für die Nationalsozialisten nicht ausreichend war, dass von Juden gegründete Handelsunternehmen wie das Ehape als Gesellschaft arisiert wurden, sondern sämtliche Juden aus dem Unternehmen und seinen Gremien bis zu einem bestimmten Datum entfernt sein mussten, bevor sie als „deutsche“ Unternehmen gelten konnten. „Stichtagsregelungen“ dieser Art sind bekannt. So sieht die Verordnung des Reichsprotektors Böhmen und Mähren vom März 1939 in § 7 (5) vor:

    „Wenn bei einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien am 17. März 1939 kein Mitglied des Vorstandes, des Verwaltungsrates oder des Aufsichtsrates Jude war, so wird vermutet, daß Juden nach Kapital oder Stimmrecht nicht entscheidend beteiligt (Absatz 3b) sind. Die gegenteilige Vermutung gilt, wenn an dem genannten Tage ein oder mehrere Mitglieder des Vorstandes, des Verwaltungsrates oder des Aufsichtsrates Juden waren“ (Quelle: https://www.herder-institut.de/no_cache/bestaende-digitale-angebote/e-publikationen/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/2033/details.html)

    Da die Arisierung und Umbenennung der „Ehape-Warenhaus AG“ in „Rheinische Kaufhalle AG“ im Jahr 1937 zum Zeitpunkt der Verhandlungen um das Grundstück an der Schloßstraße 23 in Pirmasens erst seit kurzem vollzogen war, gab es offensichtlich noch Bedenken, ob die Verordnungen über den Einsatz des jüdischen Vermögens im Sinne der Nationalsozialisten bereits vollständig umgesetzt waren.

    Darüber hinaus scheint den Nationalsozialisten aber die Einrichtung „Kaufhaus“ insgesamt suspekt gewesen zu sein, denn auch nach der Arisierung der großen jüdischen Kaufhauskonzerne hatten die einzelnen Standorte mit Repressionen zu rechnen:

    „Als Hitler 1933 die Macht übernahm, begannen für Filialisten und Kaufhäuser schlechte Zeiten. Hofiert wurden fortan nur die 840 000 Einzelhändler, die das braune Regime unter eine Art Naturschutz stellte. Kaufhäuser hingegen galten als jüdische Erfindung, weil die Hertie- und Kaufhof-Gründer Tietz keinen arischen Stammbaum hatten. Auch die arisierten Betriebe mußten starke Beschränkungen hinnehmen. Unter anderem wurde ihnen verboten, Rabatte an die Kundschaft zu geben. Auch die Expansion der Filialbetriebe wurde gestoppt; der: Staat belegte sie mit einer kommunalen Filialsteuer. Ergebnis: Der Marktanteil der Filialisten sank von elf Prozent (1932) auf rund vier Prozent (1940)“ (Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43345674.html).

    Vom 17. Februar 1939 stammt das einzige Dokument von Susanne Kahn selbst, die an die Regierung der Pfalz in Speyer schreibt. Inzwischen hat ihr das Finanzamt Mannheim einen Steuerbescheid über die „Judenvermögensabgabe“ zugestellt und verlangt einen nicht näher genannten Geldbetrag von der 73-jährigen Witwe von Moritz Kahn. Sie habe den vereinbarten Kaufpreis von 120.500 Reichsmark allerdings nicht erhalten und deshalb das Finanzamt Mannheim um Stundung der „Judenabgabe“ gebeten. Da sie sonst keinerlei Vermögen besitze, könne sie die verlangte Abgabe nicht bezahlen. Dennoch sei ihr Antrag auf Stundung der Judenvermögensabgabe abgelehnt worden. Deshalb bittet Susanne Kahn den Regierungspräsidenten der Pfalz, Mitteilung an das Finanzamt Mannheim zu machen, dass die Genehmigung zum Erwerb ihres Hauses in Pirmasens durch die Kaufhalle AG noch ausstehe. „Vielleicht ist es Ihnen aber auch möglich, mir die Genehmigung zu erteilen, sodass ich in Besitz des Geldes kommen kann, um meinen Verpflichtungen nachkommen zu können“ (vgl. Brief von Susanne Kahn an den Regierungspräsidenten der Pfalz vom 17. Februar 1939, Stadtarchiv Pirmasens).

    Die Genehmigung des Kaufvertrages wird jedoch weiter hinausgezögert. Uneinigkeit besteht zwischen den verschiedenen NSDAP-Geschäftsstellen. Beteiligt an dem Verfahren sind neben der Stadtverwaltung Pirmasens die Gauleitung der Saarpfalz in Neustadt, die Preisüberwachungsstelle der Regierung der Pfalz in Speyer und die Industrie- und Handelskammer Pfalz. Um eine Arisierungsabgabe dem Reich einverleiben zu können, muss eine Differenz zwischen dem Kaufgebot der Kaufhalle AG und dem von der NSDAP-Wirtschaftsberatung festzulegenden Wert des Grundstücks festgestellt werden. Da die Kaufhalle AG bereit wäre, statt des Einheitswertes von 120.000 Reichsmark sogar bis zu 150.000 Reichsmark zu investieren, somit eine Arisierungsabgabe von mindestens 20.000 Reichsmark anfalle, sähe die Preisüberwachungsstelle keinen Grund, den vereinbarten Kaufpreis von 120.000 Reichsmark zu beanstanden. Festzustellen sei jedoch, ob das Gutachten der Industrie-Handelskammer unter Bezugnahme auf eine Schätzung des Bauamtes Pirmasens richtig sei, wonach das Grundstück an der Schloßstraße 23 in Pirmasens nur 95.000 Reichsmark wert sei. „Vom Standpunkt des Volksvermögens aus betrachtet wäre es zweifellos bedauerlich, wenn die jüdische Hausbesitzerin nur deshalb, weil der Kaufhof (Anm.d.Verf.: Gemeint ist Käufer Kaufhalle AG laut Kaufvertrag vom 12. Dezember 1938) in der Lage und bereit ist, einen höheren Preis anzulegen, zu einem unangebracht hohen Kauferlös käme“ (vgl. Interne Mitteilung der Preisüberwachungsstelle an die Regierung der Pfalz vom 5. April 1939, Stadtarchiv Pirmasens).

    Mit Schreiben vom 13. April 1939 an die NSDAP-Gauleitung Saarpfalz folgt die Regierung der Pfalz der Auffassung der Industrie- und Handelskammer:

    „I. Nach unserem Dafürhalten ist es durchaus erwünscht, dass das jüdische Anwesen schnellstens in deutschen Besitz übergeht. Wenn die Fa. Kaufhalle A. G. in Köln tatsächlich bis 1948 einen Nietvertrag hat, sehen wir keine andere Möglichkeit, das Anwesen in absehbarer Zeit in arischen Besitz zu überführen als durch Ankauf durch die Fa. Kaufhalle. Wir machen ferner darauf aufmerksam, daß bei einer Ablehnung des Antrages zweifelsfrei eine Beschwerde beim Reichswirtschaftsminister zu erwarten ist und dass der Reichswirtschaftsminister ausdrücklich erklärt hat, dass die Warenhausfrage über den Weg der Judenfrage nicht gelöst werden kann. Wir haben deshalb nichts dagegen, wenn dem Antrag der Firma Kaufhalle unter folgenden Einschränkungen entsprochen wird:

    1) Der Kaufpreis wird auf 95.000,- festgesetzt
    2) Der Unterschied zwischen diesem Kaufpreis und dem mit der Jüdin bereits vereinbarten ist an das Reich abzuliefern
    3) Die Fa. Kaufhalle verpflichtet sich, etwa vom Oberbürgermeister Pirmasens geforderte bauliche Veränderungen, die durch die Rückverlegung der Baulinie bedingt sind, ohne Entschädigung durchzuführen.

    II. An den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens
    In vorbezeichneter Angelegenheit wolle beschleunigt der Verkehrswert und der Einheitswert des veräusserten Grundbesitzes angegeben werden.“
    (vgl. Brief der Regierung der Pfalz an die NSDAP-Gauleitung Saarpfalz vom 13. April 1939, Stadtarchiv Pirmasens)

    Am 30. Mai 1939 legt das Stadtbauamt Pirmasens die verlangte Feststellung des Verkehrs- und Einheitswertes vor. Die detaillierte Aufstellung enthält die Maße und Werte des Baus in der Schloßstraße 23 und den Anbau in der Höfelsgasse, in dem das Ehape-Warenhaus untergebracht war. Nach Berücksichtigung des baulichen Zustandes und Abschreibungen ermittelt das Stadtbauamt einen Verkehrswert des gesamten Grund- und Hausbesitzes von Susanne Kahn in Höhe von 96816,- Reichsmark (vgl. Wohn- und Geschäftshaus Nr. 23 an der Schloßstraße in Pirmasens vom 30. Mai 1939, Stadtarchiv Pirmasens).

    Nun schaltet sich der Verband der „Israeltischen Kultusgemeinden der Pfalz“ ein. Erhalten ist ein Antwortschreiben der NSDAP-Gauleitung Saarpfalz an den Verband der Kultusgemeinden vom 12. August 1939. Der namentlich nicht genannte Verfasser schreibt, das an den Gauwirtschaftsberater gerichtete Schreiben vom 5. August 1939 (Anm.d.Verf.: Gemeint ist das Schreiben der Kultusgemeinde an Gauwirtschaftsberater Uhl) sei zuständigkeitshalber an ihn zur Erledigung überwiesen worden. Er gebe nach erfolgter Unterredung nochmals bekannt, dass die „Bearbeitung von der Gauleitung aus solange nicht erfolgen kann, bis die Jüdin Kahn einen freiwilligen Nachtrag zum Kaufvertrag tätigt, bei dem sie den Kaufpreis um RM 25.000,- ermässigt.“ Der Verkehrswert des Grundstücks sei vom Stadtbauamt Pirmasens auf 95.000 Reichsmark reduziert worden. Es sei der Kultusgemeinde bekannt, dass Juden in den seltensten Fällen überhaupt der Verkehrswert zugebilligt werde. „Wir nehmen an, dass dies die Jüdin durch schnelle Abschließung eines Nachtragvertrages anerkennt“ (vgl. Brief an den Verband der Israelitischen Kultusgemeinden der Pfalz vom 12. August 1939, Stadtarchiv Pirmasens).

    Vom 10. April 1940 datiert ein Schreiben des Pirmasenser Bauamtmanns Altendorf im Auftrag des Pirmasenser Oberbürgermeisters an Dr. Heinrich „Israel“ Strauss in Ludwigshafen:

    Der Kaufpreis wurde lt. Urkunde des Notars Riffart in Köln vom 20. Februar 1940, Nr.108 von 120.500,00 RM auf 95.000,00 RM herabgesetzt. Der durch die Herabsetzung des Kaufpreises erzielte Arisierungsgewinn in Höhe von 25.500,00 RM soll nach dem Vertrag an das Deutsche Reich abgeführt werden. Hiernach geht die Auflage zu Lasten der Käuferin“ (vgl. Brief an Dr. Heinrich „Israel“ Strauss vom 10. April 1940, Stadtarchiv Pirmasens)

    Es ist nicht bekannt, um wen es sich bei Dr. Heinrich Strauss handelt und warum er in die Kaufverhandlungen einbezogen war. Vermutlich war er Funktionär im Verband der jüdischen Kultusgemeinde.

    Die Arisierungsakte zu Lebzeiten von Susanne Kahn schließt mit einem Brief des Notars Riffart aus Köln an den Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens, zu Händen Bauamtmann Altendorf vom 7. September 1940. Darin schreibt der Notar, dass er die Abänderung des Kaufvertrags, mit der der Kaufpreis von 120.500 Reichsmark auf 95.000 Reichsmark herabgesetzt wurde, am 20. Februar 1940 beurkundet habe. Frau Witwe Kahn habe die Zustimmungserklärung Anfang März 1940 auf dem Mannheimer Notariat I unterzeichnet. Das Original der Zustimmungserklärung sei an den Pirmasenser Oberbürgermeister zur Genehmigung weiter geleitet worden. „Ich bitte mir deshalb das Original bzw. eine beglaubigte Abschrift der Zustimmungserklärung der Frau Wwe Kahn baldmöglichst zuzusenden, damit ich die Umschreibung des Hauses auf die Rheinische Kaufhalle Akt. Ges. veranlassen kann.“ (vgl. Brief von Notar Riffart an Bauamtmann Altendorf vom 7. September 1940, Stadtarchiv Pirmasens)

    Sechs Wochen später wird Susanne Kahn am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Die ihr zugewiesene Rolle bei der Enteignung ihres Besitzes war erledigt. Sie hat den „Kaufpreis“ für ihr Anwesen in der Schloßstraße 23 nie erhalten. Am 28. Dezember 1942 kommt Susanne Kahn im Internierungslager Nexon (Arrondissement Limoges) unter ungeklärten Umständen ums Leben. Sie wurde 77 Jahre alt. Eine Grabstätte ist unbekannt. 

    Epilog 1948

    Am 16. Juni 1948 schreibt die Immobilienverwaltung der Kaufhalle AG an das Pirmasenser Finanzamt. Man habe am 31. März 1940 das Objekt Pirmasens, Schloss Straße 23 „aus jüdischem Besitz und zwar von Frau Susanne Kahn, erworben“. Für die Zwecke der Wiedergutmachung benötige man Angaben über den gezahlten Kaufpreis. Die Zentralverwaltung in Köln sei 1943 ausgebrannt und sämtliche Akten vernichtet worden. Insbesondere wolle die Kaufhalle AG vom Finanzamt Pirmasens wissen, ob man eine Auflage von 25.500 Reichsmark und „außerdem eine Judenvermögensabgabe“ an das Finanzamt Pirmasens überwiesen habe (vgl. Einschreiben Kaufhalle AG an das Finanzamt Pirmasens vom 16. Juni 1948, Stadtarchiv Pirmasens) 

    Ob die Nachfahren von Susanne und Moritz Kahn nach dem Krieg von der Bundesrepublik oder der Kaufhalle AG für die Enteignung entschädigt wurden, ist unbekannt.

    Das Schicksal von Susanne Kahn und ihrer Familie

    Eintrag Susanne Kahn im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz: Susanne Kahn, geborene Neumann, geboren am 08. September 1865 in Teschenmoschel / Kirchheimbolanden / Bayern (Pfalz), wohnhaft in Mannheim, Deportationsziel: ab Baden - Pfalz – Saarland, 22. Oktober 1940, Gurs, Internierungslager, Nexon, Internierungslager, Todesdatum/-ort: 28. Dezember 1942, Nexon, Internierungslager.

    Erwähnungen im Gedenkbuch der Karlsruher Juden:

    „Susanne Kahn lebte zu Beginn des Krieges bereits in einem Altenheim in Mannheim. Auch im Lager Gurs schien sich die Familie nicht von der Großmutter trennen zu wollen. Sie beantragte eine Verlegung ins Lager Noé für die gesamte Familie. Wir wissen, dass auch Viktor Frankl seinerzeit nicht das Ausreisevisum nutzte, sondern sich mit seinen weniger privilegierten Eltern in die Deportation fügte.“ (http://gedenkbuch.informedia.de/gedenkbuch.php/PID/12/name/4474/suche/T.html)
    „Emilie Trautmann wurde am 11. Juni 1896 in Thaleischweiler, einem Dorf im Kreis Pirmasens geboren. Die jüdische Gemeinde existierte dort bis 1910, verfügte über eine Synagoge, ein 1827 umgebautes Wohnhaus, eine Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Gegenüber 1848, als noch 143 jüdische Bürger in Thaleischweiler lebten, sank deren Anzahl auf 12 im Jahr 1924. Emilie Trautmann wuchs als Emilie, genannt Milly Kahn, Tochter von Susanne Kahn, geborene Neumann, und Kaufmann Moritz Kahn wohl gut behütet mit zwei Geschwistern auf, besuchte nach der Volksschule sechs Jahre lang die Höhere Mädchenschule.“ (http://gedenkbuch.informedia.de/gedenkbuch.php/PID/12/name/4474/suche/T.html)

    Eintrag Emilie Trautmann im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz: Trautmann Emilie, geborene Kahn, geboren am 11. Juni 1896 in Thaleischweiler / Pirmasens / Bayern (Pfalz), wohnhaft in Karlsruhe, Deportationsziel: ab Baden - Pfalz – Saarland, 22. Oktober 1940, Gurs, Internierungslager, ab Drancy, Sammellager, 26. August 1942, Auschwitz, Vernichtungslager, Todesdatum/-ort: für tot erklärt

    Begriffserklärung Arisierung

    Der Begriff "Arisierung" beschreibt den Prozess der Verdrängung der Juden aus ihrer beruflichen Stellungen und ihrem Erwerbsleben durch die Nationalsozialisten. Er umfasst sowohl illegale als auch staatlich genehmigte Erlassungen, Berufsverbote, die Einschränkung gewerblicher Tätigkeiten und die teils erzwungene Übertragung des Eigentums an nichtjüdische Deutsche. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde das Verfahren der Arisierung verändert und durch zusätzliche Gewalt und eine Vielzahl von Rechtsvorschriften beschleunigt. Bereits zum Jahreswechsel 1938/1939 wurden die meisten jüdischen Unternehmen in Deutschland mittels roher Gewalt, Drohungen und rechtlichen Verträgen "arisiert". Oftmals bekamen die Juden den Kaufpreis ihrer Unternehmen nicht in voller Summe, sondern nur Teilbeträge oder gar nicht erstattet. Mit diesen Veränderungen wurde die Arisierung ein staatlich organisiertes Enteignungsverfahren. (Quelle: http://1933-1945.allianz.com/de/allianz-im-nationalsozialismus/allianz)

    „Ab Herbst 1937, nach der wirtschaftlichen Konsolidierung des Reichs und nach der Entlassung des gemäßigten Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht, verstärkten die Nationalsozialisten dann den Druck auf die noch bestehenden jüdischen Unternehmen. Die „Arisierung“ sollte nun beschleunigt und staatlich gelenkt werden, d.h. die Verkaufspreise wurden gedrückt und behördlich festgesetzt, und als Käufer kamen nur noch der NSDAP genehme Interessenten, in der Regel Parteimitglieder, infrage. Kurz darauf mussten die Juden aufgrund der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 26. April 1938 ihr gesamtes in- und ausländisches Vermögen, sofern es 5.000 Reichsmark überstieg, anmelden. Da die Bankkonten von Juden seit längerem gesperrt waren, auch für Wertpapiere ein Depotzwang bestand und Ausreisenden nur geringe Devisenbeträge zugestanden wurden, konnten Juden bei der Auswanderung den Verkaufserlös allerdings ohnehin nur zu einem winzigen Bruchteil ins Ausland transferieren, selbst wenn sie noch einen fairen Preis erzielt hatten. Durch hohe Sonderabgaben, wie die „Reichsfluchtsteuer“, die Juden zu zahlen hatten, wenn sie Deutschland verlassen wollten, wurden sie vom Staat außerdem systematisch um ihr Vermögen gebracht“ (Quelle: „Arbeitsschlacht, Arisierung, Arbeitssklaven“ von Hedwig Brüchert erschienen in einem Ausstellungsband der Stadt Mainz, Redaktion: Wolfgang Dobras, Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 36, Mainz 2008).

    Eine der wichtigsten Grundlagen der Arisierung war die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938:

    „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“






    Jüdische Kaufhäuser

    1852: In Stralsund eröffnen die Brüder Abraham und Theodor Wertheim ihr „Manufactur Modewarengeschäft“. In den kommenden Jahrzehnten bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gründet die Familie Wertheim zahlreiche Warenhäuser, darunter 1894 das erste für diesen Zweck errichtete Kaufhaus mit festen Preisen und offener Warenauslage in der Berliner Oranienstraße. Dieses Warenhaus war mit 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche lange Zeit das größte Kaufhaus Europas. 1937 wurden die Familie Wertheim und ihr beträchtliches Konzernvermögen enteignet und zur AWAG, Allgemeine Warenhaus Gesellschaft AG, erklärt.

    1882: Hermann Tietz gründet in Gera das „Garn-, Knopf-, Posamentier, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz“. Zahlreiche Filialen und Niederlassungen wurden gegründet. 1927 waren in den Unternehmen der Familie Tietz 13.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. 1933 wurden die Kaufhäuser von Firmengründer Hermann Tietz unter dessen Erben Alfred Leonard Tietz arisiert und von der Dresdner Bank übernommen. Aus den Kaufhäusern von Hermann Tietz wurde „Hertie“ (Name gebildet aus den jeweils drei Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamens) und aus den Warenhäusern seines Cousins Leonard Tietz wurden „Kaufhof“ und „Kaufhalle“.

    1904: Die Gebrüder Schocken eröffnen ihr erstes Kaufhaus in Oelsnitz in Sachsen. Im Jahr 1907 gründen die Brüder Simon und Salman Schocken die Firma Schocken Söhne Zwickau. 1933 wird die Schocken KG zu einer Aktiengesellschaft mit 4,2 Millionen Reichsmark Stammkapital umgewandelt. 1938 erfolgte die vollständige Arisierung des Konzerns durch Verkauf an die Deutsche Bank. Seitdem wurde der Kaufhauskonzern unter dem Namen „Merkur“, später „Horten“ geführt.

    © Frank Eschrich, Arbeitskreis Geschichte der Juden in Pirmasens, unter Verwendung der Recherchen und Ausarbeitungen der Berufsbildenden Schule BBS, Klasse GT 13/6