Zentrale Gedenkstätte am Bahnhofsvorplatz nach dem Entwurf des Künstlers Clas Steinmann, 2014 

Ringstraße 36-38

Dezentrale Gedenkorte

Ringstraße 36-38: Kurt und Ludwig Dreifuß und die Familie Schwarz

Gedenktafeln an der Ringstraße 36

Die Anbringung der Gedenktafeln fand am 9. November 2016 statt. Die historische Adresse Ringstraße 38, auf die die Quellen im Folgenden verweisen, entspricht dem heutigen Gebäudekomplex Ringstraße 36-38. Zur besseren Sichtbarkeit wurden die Gedenktafeln an der Ecke Ringstraße 36 angebracht.

Zum Schicksal der Brüder Kurt und Ludwig Dreifuß
von Frank Eschrich

Kurt Dreifuß, Reisepassantrag 
© StArchiv Pirmasens

Ludwig Dreifuß wurde 1886, Kurt Dreifuß wurde 1898 - beide in Pirmasens - geboren. In Pirmasens lebte Ludwig Dreifuß zeitweise in der Exerzierplatzstraße 9, Kurt Dreifuß zeitweise in der Schützenstraße 9. Letzter bekannter Wohnort von Ludwig und Kurt Dreifuß in Pirmasens war die Ringstraße 38. Das anstehende Bild zeigt Kurt Dreifuß und stammt aus seinem Reisepassantrag. Von Ludwig Dreifuß ist kein Foto im Bestand des Pirmasenser Stadtarchivs vorhanden.

Im „Verzeichnis der Judenhäuser in Pirmasens“ vom 3. April 1941 wird Ludwig Dreifuß – wie auch Kurt Dreifuß – als Eigentümer des Anwesens in der Ringstraße 38 aufgeführt. Diese Auflistung von Haus-und Grundbesitz jüdisch gläubiger Menschen in Pirmasens wurde unter rassistischen Gesichtspunkten geführt. Das Verzeichnis diente der „Arisierung“, d.h. Enteignung, jüdischen Besitzes. Mitbesitzer des Hauses waren weitere Personen mit Namen Dreifuß, teilweise mit Wohnsitz in Hamburg, die offensichtlich miteinander verwandt waren. Aus diesem Verzeichnis können wir weiterhin entnehmen, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen Hausverwalter gab und deshalb ein sogenannter „Pfleger“ für das Anwesen bestellt werden sollte. Weiterhin findet sich die Eintragung, dass sich die Haubesitzer „vermutlich in USA“ aufhalten würden. Bei Kurt Dreifuß ist zusätzlich der Vermerk „befindet sich im Gefängnis Zweibrücken“ eingetragen. ...

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    Zwischen 1933 und 1941 wurden unterschiedliche Gesetze und Verordnungen zur „Verwertung“ des Vermögens von Menschen jüdischen Glaubens erlassen, u.a. eine sogenannte Reichsfluchtsteuer und eine „Judenvermögensabgabe“. Darüber hinaus wurde der Besitz von Bargeld oder Sachwerten in verschiedenen Stufen auf letztlich 10 Reichsmark beschränkt. Eine zentrale Rolle bei der Enteignung spielten die Finanzämter und Zollbehörden. Ein Briefwechsel zum Besitz von Ludwig Dreifuß zwischen der Pirmasenser Stadtverwaltung, dem Finanzamt Frankfurt und dem NSDAP-Wirtschaftsberater Willi Stuhlfauth ist im Stadtarchiv Pirmasens erhalten:

    Abbildungen des Briefwechsels zwischen der Pirmasenser Stadtverwaltung, dem Finanzamt Frankfurt und dem NSDAP-Wirtschaftsberater Willi Stuhlfauth © StArchiv Pirmasens

    Kurt Dreifuß findet sich zusätzlich in der „Juden-Liste Pirmasens-Stadt“ vom 17. November 1938 und wird dort mit Beruf „Kaufmann“ vermerkt. Kurt Dreifuß war Ledergroßhändler und betrieb seinen Handel in der Ringstraße 38. Darüber hinaus befinden sich im Stadtarchiv Pirmasens ein Reisepassantrag zu Kurt Dreifuß mit Lichtbild und Personenangaben sowie der Ausschließungsschein der Deutschen Wehrmacht.

    Willkür bei Ausreisegesuchen

    Geschäftsreisende, wie Kurt Dreifuß, wurden besonders streng geprüft. Neben den üblichen Abfragen bei der Staatspolizeistelle Neustadt, der Zollfahndungsstelle Ludwigshafen, dem Gemeindevorstand – Stadthauptkasse Pirmasens, der Reichsbankanstalt Pirmasens und dem Oberfinanzpräsidenten in Ludwigshafen, wurde im Fall von Dreifuß auch das Wohlfahrtsamt bemüht. Dieses durchleuchtete seine Familienverhältnisse und gab folgenden Bericht zu den Akten:

    „Die Familie Dreifuß, wohnhaft Pirmasens, Ringstrasse 38, trifft ernsthafte Vorbereitungen zur Auswanderung. Es ist nun amtsbekannt, dass einzelne Mitglieder der großen Judenfamilie geisteskrank oder blödsinnig sind und in Deutschen Anstalten untergebracht werden mussten. Es ist sorgfältig festzustellen, welche und wie viele Mitglieder der Familie augenblicklich in Anstalten leben. Wer bestreitet die Kosten? Die Pässe der einzelnen Mitglieder der Familie werden nur ausgestellt werden, wenn der Abtransport der Dreifuß ́schen Idioten ins Ausland bewerkstelligt ist, oder eine entsprechend hohe Summe den Unterhalt dieser hilfsbedürftigen Juden für alle Zukunft sichert.“

    Einen halben Monat später zog das Wohlfahrtsamt selbst weitergehende Erkenntnisse in der Sache ein:

    „Im vorliegenden Falle kommt höchstens Siegfried Dreifuß in Betracht, denn derselbe war bekanntlich schwachsinnig. Nach Angaben des Bruders desselben – Kurt Dreifuß – Inhaber eines Leder u. Schuhgroßgeschäftes hier Ringstr. 38 ist derselbe nicht in einer Anstalt, sondern in der Metzgerei Oppenheimer in Hofheim im Taunus gegen eine mtl. Vergütung von 100 M untergebracht. (...) Auf Vorhalt des Kurt Dr., ob Frau Juda nicht in einer Irrenanstalt sei in der Schweiz – dies habe ich von einer Familie in dem Hause Ringstr. 38 erfahren – erklärte derselbe, das sei vollständig erfunden,denn noch nie sei Frau Juda in einer Anstalt gewesen. Die Angaben des Dr. konnten hier nicht widerlegt werden. Es muss aber etwas an der Sache gewesen sein, denn wie konnte der Mieter Dr. Cronimund, der mir dies mitteilte, wissen, er will dies seinerzeit selbst einmal von Angehörigen der Familie Dr. gehört haben, folglich war auch etwas an der Sache.“ (Aus: Juden in Pirmasens – Spuren ihrer Geschichte, Hrsg. Stadtverwaltung Pirmasens, 2004. Seite 514-515).

    Kurt Dreifuß ist allerdings niemals tatsächlich ausgewandert. Der Reisepassantrag stammt von 1937, Kurt Dreifuß wird in der „Juden-Liste Pirmasens Stadt“ vom 17. November 1938 weiterhin geführt. Bis 1940 gehörte er sogar der Deutschen Wehrmacht an.

    Juden nicht „wehrwürdig“

    Ausschließungsschein Kurt Dreifuß © StArchiv Pirmasens

    Laut Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 wurden ab 25. Juli 1935 alle Juden vom aktiven Dienst in der Deutschen Wehrmacht ausgeschlossen. Mit Datum vom 27. Januar 1940 wurde auch Kurt Dreifuß aus der Wehrmacht ausgeschlossen (s. Abb.).

    Weitere Quellen oder Informationen über Ludwig und Kurt Dreifuß liegen im Stadtarchiv Pirmasens nicht vor. In der „Jüdischen Waisen-Anstalt“ Fürth wird zwischen 1908 und 1911 ein Kurt Dreifuß aus Pirmasens geführt. 1908 war Kurt Dreifuß 10 Jahre alt. Es könnte sich also bei diesem Eintrag um Kurt Dreifuß aus der Ringstraße 38 handeln. Dazu sind weitere Recherchen notwendig.

    Wohl im Zuge der Evakuierung der „Roten Zone“ am 1. September 1939 haben Ludwig und Kurt Dreifuß Pirmasens endgültig verlassen. Ludwig Dreifuß lebte danach in Frankfurt am Main, Ostendstraße 20, und wurde von dort an einen unbekannten Ort deportiert. Kurt Dreifuß wurde 1942 von Kaiserslautern in das Ghetto Izbica in Polen deportiert, einem Durchgangslager für den Weitertransport in das Vernichtungslager Treblinka. Die genauen Todesumstände sind unbekannt, beide wurden 1945 für tot erklärt.


Zum Schicksal der Familie Schwarz: Alfred Lazarus, Bertha, Ernst, Heinz Leopold und Ludwig Simon Schwarz
von Frank Eschrich

Abb.: Alfred Lazarus Schwarz, Berta Schwarz, geb. Levy, Ernst Schwarz, Heinz Leopold Schwarz, Ludwig Simon Schwarz, Sammlung Kennkarten © StArchiv Pirmasens