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Gasstraße 8-10
Dezentrale Gedenkorte
Gasstraße 8-10: Familie Max Wolff
Am Platz der heutigen Gasstraße 8-10 lebte zur Zeit des Nationalsozialismus die Familie Wolff: Max, Meta sowie Ihre Söhne Karl (später Charles) und Hans Werner (später John W.). Die Tafeln an der Gasstraße wurden am 16. Februar 2022 vom Oberbürgermeister Markus Zwick, der Vorsitzenden des Arbeitskreises, Frau Karola Streppel, gemeinsam mit Nachfahren aus der Familie und Schülern des Hugo-Ball-Gymnasiums, insbesondere der Schülerin Hanna Bähr, eingeweiht.
Gedenktafeln an der Gasstraße 8-10
Abbildungen: Karl (Charles) Wolff © Roland Paul; Meta Wolff © StArchiv PS, Kennkartensammlung; Max Wolff, 1913 © Melvin Wolff; Hans (John) Werner Wolff, bei seiner Hochzeit 1946 © Melvin Wolff (mit freundlicher Genehmigung)
Maximilian Wolff - Das Schicksal eines Pirmasenser Juden
von Hanna Bähr
Maximilian (Max) Wolff wurde am 16. November 1879 in Pirmasens geboren und starb am 25. November 1938, aufgrund medizinischer Unterversorgung im Konzentrationslager Dachau.
Am 06. Mai 1913 heiratet Max die am 09. Mai 1891 in Aschaffenburg geborene Meta Lindheimer. Aus der Ehe gehen zwei Söhne, Karl (später Charles) und Hans Werner (später John W.) hervor.
Bis zur Verhaftung von Max und seiner beiden Söhne am 10. November 1938 lebt die Familie in Pirmasens. Max ist dort in der Schuhindustrie tätig und leitet bis Ende der 1920er Jahre die von seinem Urgroßvater gegründete Schuhfabrik, gemeinsam mit seinem Vetter Robert Wolff.
Wie bereits sein Vater Carl Wolff, ist auch Max politisch engagiert. In den Jahren der Weimarer Republik ist er in der „Deutsch- Demokratischen Partei“ tätig und Mitglied des Pirmasenser Stadtrates.
Am 10. November 1938, am Morgen nach der Zerstörung der Synagoge, werden Max Wolff und ebenso seine beiden Söhne verhaftet und in den Pirmasenser Volksgarten abgeführt, wo ihnen Wertgegenstände und Geld entwendet werden. Fast alle, so auch Max Wolff und seine Söhne, werden zunächst nach Frankreich über die Grenze getrieben. Da die Männer dort zurückgewiesen werden, müssen sie zu Fuß zurück nach Pirmasens. Am folgenden Tag, dem 11. November 1938, werden die Pirmasenser und etliche weitere Pfälzer Juden nach Ludwigshafen überführt. Von dort aus beginnen am selben Abend mit Güter- und Sonderzügen die Deportationen nach Dachau.
Die meisten schwerstkranken und alten Juden aus Pirmasens wurden nicht nach Dachau deportiert, so aber Max Wolff, obwohl er kurz zuvor eine schwere Operation am Kropf hatte. Er wurde wie Ernst Baer besonders grausam behandelt. Vermutlich, weil beide besonders aktiv am Kampf gegen das Erstarken den Nationalsozialismus in Pirmasens beteiligt waren.
Im Konzentrationslager Dachau herrschten extrem menschenverachtende Zustände und Schikane, wie etwa die stundenlangen Zählappelle, Folter und Unterdrückung. Zudem war das Nahrungsangebot schlecht und eine medizinische Versorgung wurde Max Wolff, wie vielen anderen auch, bis zu seinem Tod verwehrt.
Aufgrund dieser unmenschlichen Taten musste auch Max Wolff sterben. Seinen Söhnen Karl und Hans Werner, sowie seiner Ehefrau gelingt 1940 die Emigration in die USA.
Karl, der sich nach der Emigration Charles nennt, berichtet auf 16 Din-A-4 Seiten über diesen schrecklichen Lebensabschnitt. Sein Bericht ist im Buch „Juden in Pirmasens - Spuren ihrer Geschichte“ (ab Seite 450) aufgeführt und befindet sich im Archiv des Leo Baeck-Instituts in New York.
Im Folgenden möchte ich einige wichtige Eindrücke, zum Teil mit Zitaten aus Charles Bericht, vermitteln.
Charles bezeichnet Pirmasens hierbei als „Hochburg für den Nationalsozialismus“, was er zum einen mit dem Konflikt zwischen einer früher bestehenden Separatistengruppe, die von Frankreich unterstützt wurde, und der restlichen Pirmasenser Bevölkerung, und zum anderen mit der Verarmung der Bürger begründet. Viele Schuhfabrikanten konnten der großen Konkurrenz in der Krise Ende der 20er nicht mehr Stand halten und mussten somit ihre Fabriken verkaufen. Zur Folge gab es etliche Arbeitslose in Pirmasens. Charles äußert die Vermutung, dass diese Bürger, aus Hoffnung auf eine Besserung, zu NSDAP-Wählern wurden.
Trotz allem beschreibt er das Leben für Juden in Pirmasens bis zu den Novemberpogromen als verhältnismäßig gut. „Als ich morgens aufgestanden war, erfuhr ich, dass die Synagoge in Pirmasens verbrannt und sämtliche jüdischen Einzelhandelsgeschäfte demoliert worden waren“, so beginnt Charles Wolff die Schilderung der Novemberpogrome in Pirmasens. Es folgen die Verhaftung am Morgen, mit der Abführung in den Pirmasenser Volksgarten. Ein besonders grausames Schicksal habe Ernst Baer, den Ortsgruppenvorsitzenden des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, Inhaber des E. K. 1. und 2. Klasse getroffen. „Ein dicker Verband umhüllte den Kopf und die Arme, ein Auge war blau angeschwollen.“ Eine Gruppe junger Männer habe ihn dermaßen verprügelt, dass sie ihn „im Glauben er wäre tot, auf einem Feld liegen ließen.“ Dieser Mann durfte wieder nach Hause gehen, nachdem er ein Versprechen gab, nicht das städtische Krankenhaus aufzusuchen. Noch viele weitere misshandelte und verprügelte Menschen betraten den Saal. „Unter diesen Misshandelten befand sich auch ein 70 Jahre alter Mann.“
Vom Volksgarten aus wurden die männlichen Juden zunächst mit Postbussen, anschließend zu Fuß in Richtung der französischen Grenze getrieben. Ein alter, blinder Mann sei ebenfalls dabei gewesen, welcher von anderen geführt werden musste. „Die Angehörigen der Parteileitung […] schämten sich gar nicht, diesen traurigen Zug zu fotografieren.“
Solche Aktionen, sowie etliche Beleidigungen, und auch der herablassende Umgang mit diesen Menschen, die zum Teil für Deutschland im Ersten Weltkrieg gekämpft und wie alle anderen nichtjüdischen Bürger in Pirmasens gelebt und gearbeitet hatten, spiegelt den extremen psychischen Druck wieder, der zusätzlich zur körperlichen Gewalt auf sie ausgeübt wurde.
„Von wegen Schweinehunde. Nun geht nach Paris und bedankt euch bei dem, der dort geschossen hat“, mit diesen Worten habe der stellvertretende Kreisleiter Schneider der NSDAP die Männer über die Grenze gescheucht. Und wenn sich einer wagen würde, zurückzukommen, so würde es ihm schlecht gehen.
In Frankreich erfuhren die Männer Ablehnung und wurden wieder zurück über die Grenze nach Pirmasens geschickt. In Pirmasens angekommen, wurden alle Kranken und über 60- Jährigen nach Hause geschickt. Einige, die für eine Emigration bereits alles bereit hatten, durften auch gehen. Sie mussten Deutschland in den nächsten Tagen verlassen. Maximilian Wolff, der mit seiner frischen Narbe am Hals eine Kropfoperation nachweisen konnte, musste trotzdem bleiben.
Am folgenden Morgen, den 11. November, begann dann die Überführung nach Ludwigshafen. Unzählige männliche Juden aus der ganzen Pfalz wurden zunächst dorthin, und in der Nacht vom 11. auf den 12. November nach Dachau deportiert. Bereits während weiterer Deportationen nach Dachau, beispielsweise aus Wien, fanden schwere Misshandlungen und Morde an Juden statt.
Die Zählungen und Einkleidungen im KZ Dachau dauerten vom Vormittag des 12. November bis zum Abend. Die Männer mussten ihre Gefangenennummern eigenhändig auf den an ihrer Gefangenenkleidung angebrachten Davidstern nähen.
Max hatte die Nummer 23935, Karl 23938 und Hans 23942. (Siehe „Alle Gefangenen aus Pirmasens in Dachau“ von der Gedenkstätte Dachau).
„[…] dann ging es zu einem Raum, welcher vollkommen mit Strohsäcken ausgelegt war. […] Einer musste sich zwischen die Beine des anderen setzen, so dass wir schließlich 300 Leute in Ölsardinenpackung in dieser Stube lagen. An Schlaf war nicht zu denken.“ Diese Erfahrung von seiner ersten Nacht in Dachau teilt Charles Wolff in seinem Bericht.
Der Alltag im Lager bestand aus täglich zwei Zählapellen, die auf dem Hof abgehalten wurden, (zu bedenken ist, dass ein solcher Zählappell weit über eine Stunde andauerte und es selbstverständlich kalt war) Marsch- und Sportübungen und Arbeit. Die über 60-Jährigen waren später von den Sportübungen befreit, mussten in dieser Zeit jedoch putzen und weitere haushälterische Aufgaben erledigen.
Max Wolff wurde gesundheitlich immer schwächer. Auch konnte er den psychischen Druck der „sadistischen SS-Wärter" nicht ertragen.
Aufgrund immer wiederkehrender Brechanfälle und der rapiden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, meldete sich Max Wolff am 22. November 1938 zu einer Untersuchung in der Krankenstation an. „… und [er verlor] jede innere Widerstandskraft, die man dort unbedingt haben musste […].“
Am folgenden Tag, nachdem er noch zwei Zählappelle über sich ergehen lassen musste, wurde er auf der Sanitätsstation aufgenommen. Seine Söhne durften ihn dort erst am 25.11. besuchen, als er bereits im Sterben lag. „Wir wurden also erst gerufen, als es zu Ende ging.“ Um 19:35 Uhr war Max gestorben.
„Das ging alles in höchster Eile vor sich, denn um 8 p.m. mussten alle in den Stuben sein, sonst würden sie von den SS-Streifen erschossen, welche dann durch das Lager gingen. Viele machten auf solche Weise ihrem Leben ein Ende […]“
Charles und John W. erfuhren während ihrer Gefangenschaft nicht, was mit Max Wolff Leiche geschehen war. (Er wurde später auf dem Waldfriedhof in Pirmasens beerdigt).
Charles und John W. wurden am 05.12.1938 gemeinsam mit einigen weiteren Schutzhäftlingen mit der Bedingung, Deutschland zu verlassen, aus Dachau entlassen. Die Heimreise mit dem Zug musste selbst bezahlt werden.
Die beiden Söhne und ihre Mutter konnten zunächst nach Frankreich zu Bekannten fliehen. Von dort aus kamen sie in ein Flüchtlingsheim in Martigny-les-Bains in den Vogesen. Bei Kriegsausbruch wurden sie als „feindliche Ausländer“ interniert. Im Dezember 1939 wurden die Brüder nach Paris entlassen. Durch ihr Affidavit, das der 1938 in die USA emigrierte Ernst Lindheimer (Bruder von Meta Lindheimer) bereits für sie besorgt hatte, gelang ihnen die weitere Flucht in die USA. Die Brüder kamen am 26.02.1940, die Mutter bereits vier Wochen zuvor dort an.
Von dem Enkel von Max (Sohn von Hans (John W.)), Melvin Wolff habe ich erfahren, dass Meta all die grausamen Geschehnisse psychisch sehr stark belasteten, und sie bereits am 09.06.1955 im Alter von 65 Jahren starb.
John W. wurde 1943 in die Armee eingezogen und musste 1945 für die USA gegen Deutschland kämpfen. Später habe er Deutschland nicht mehr besucht.
Melvin Wolff ist sehr erfreut darüber, dass wir hier in Pirmasens über individuelle Geschichten und Schicksale, wie das seiner Familie berichten und Aufklärung über die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland betreiben und schätzt unsere Arbeit sehr. Er lebt heute ebenfalls in den USA.
Verwendete Quellen:
- Bericht von Charles Wolff, welcher sich im Leo Beck- Institut in New York befindet; aufgeführt im Buch „Juden in Pirmasens- Spuren ihrer Geschichte“ (S.450 – 471), eingebracht von Otmar Weber
- „Erinnerungen der Brüder Charles und John Wolff an ihre letzten Jahre in Pirmasens und ihre Emigration in die USA“; aufgeführt im Buch „Juden in Pirmasens- Spuren ihrer Geschichte“ (S.472 – 477), eingebracht von Roland Paul
- Dokumente aus dem Stadtarchiv Pirmasens; u.a. Adressbücher, Kennkartenantrag von Meta Lindheimer
- Weiterer Augenzeugenbericht zur Pogromnacht: „Von Dachau bis Basel“ von Alfred Schwerin